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Eben bei Business-Village entdeckt: Ein flammendes Playdoyer für mein Motto „Tu es!“:

 

Lassen Sie mich zum Anfang ein Geständnis ablegen: Als ich vorgestern mit dem Baby im Kinderwagen allein spazierengegangen bin, habe ich im Park angehalten und mit dem iPhone meine E-Mails gecheckt. Berufliche Mails. Eine habe ich sogar beantwortet. Nun ist es raus. Und wo ich schon mal dabei bin: Ich habe auch die Nachricht von der Geburt über Twitter und Facebook verbreitet. Habe für Freunde und Familie ein Tumblelog angelegt, damit sie stets die neuesten Bilder und Videos des Babys anschauen können. Ich skype am Wochenende mit den Großeltern, statt sie ständig zu besuchen. Bin ich ein unkonzentrierter Rabenvater, ein technophiler Grobian? Hat Social Media mich asozial gemacht? Vermantscht das Internet womöglich gar, wie FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher neulich warnte, so langsam mein Gehirn?

Die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Technologien erfolgt in Wellen der Paradoxie. Wir lieben die digitalen Kommunikationsmittel, aber wir haben zugleich oft das Gefühl, dass das ständige Posten, Updaten, Mailen und Twittern Züge unkontrollierten Suchtverhaltens annimmt. Dagegen entwickelt sich Maschinenstürmerei allerorten: In seinem aktuellen Buch erklärt Schirrmacher, „warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zu tun, was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen”. Psychologen und Technikexperten sind skeptisch, doch die Talkshows eroberte er mit dem populären Thema. Beckmann und Jauch nickten beifällig und der deutsche Fernsehzuschauer nickt mit.

Neu ist die These der Überforderung ja nicht. Die amerikanische Lifehacking-Bewegung tauscht schon länger Tipps aus, wie wir angesichts des Always-on der Onlinekommunikation einen Rest an selbstbestimmter Zeit retten können. Manche Autoren dieser Bewegung, wie Timothy Ferriss oder David Allen, verkaufen ihre Bücher millionenfach. Gina Trapani, Journalistin, Programmiererin und Gründungsredakteurin der populärsten Website zum Thema, Lifehacker.com, hält mindestens einen Tag pro Wochenende computerfrei und formuliert das Credo der digitalen Selbstschutzbewegung: „Ein Hoch auf den Abwesenheitsassistenten des E-Mail-Programms.”

Damit kann ich schon mehr anfangen als mit typisch deutschen Weltuntergangsszenarien. Stellt man das Stammmtischgeraune von der Informationsflut vom Kopf auf die Füße, bleibt nämlich kein psychosozialer Supergau, sondern – und das ist viel relevanter – die ganz alltagspraktische Frage, wie wir mit den neuen Kommunikationsmitteln klug umgehen. Wie viel Zeit brauchen wir, um produktiv und kreativ zu sein? Um jene Dinge zu verfolgen, die uns wirklich wichtig sind? Und was müssen wir aufgeben, einschränken oder abschaffen, um die Ressourcen zu haben, etwas Neues zu schaffen?

Kürzlich waren wir zwei Wochen in der einsamen italienischen Maremma, es sollte ein Urlaub werden, mit etwas Arbeit hier und da. Ich musste dann aber lernen, dass es in der Maremma keine Onlinezugänge gibt, von W-LAN ganz zu schweigen. Jedenfalls nicht in den malerischen alten Landgütern, auf denen wir übernachteten. Das einzige Internetcafe im 10 Kilometer entfernten Dorf machte immer erst um 20 Uhr auf und dann war der Rechner neben dem Billardtisch stets von Jugendlichen besetzt.

Sagen wir so: Es hatte etwas von kaltem Entzug in vier Stufen. Ich war erst ungläubig, dann unruhig, schließlich unleidlich. Und eines Morgens plötzlich clean. Ich akzeptierte das Offline-Sein, wir stellten den Frühstückstisch in die Sonne, streichelten den Hofhund, lasen den ganzen Tag lang Bücher und gingen am Abend gemütlich essen. Ohne iPhone in der Hosentasche. Es wurde dann nicht nur ein sehr entspannter Urlaub – die zwei Wochen haben meinen Ideen-Akku eindeutig wieder aufgeladen. Dass ich irgendwann auf dem Tiefpunkt des Entzugs unseren Vermieter – einen flamboyanten Landadligen, den wir nie ohne wehenden Schal und Cognacschwenker sahen – anflehte, mich für zehn Minuten an seinen alten Privatrechner zu lassen, um Mails zu checken, muss bitte unter uns bleiben.

Die Frage ist ja: Brauchen wir eher viel Kommunikation und Input, um auf neue Gedanken zu kommen? Oder brauchen wir vor allem: Ruhe, vielleicht sogar Einsamkeit? Kreativitätsexperten sagen: Beides, am besten abwechselnd. Zum Zusammenhang von Kreativität, Austausch und Kontemplation habe ich in meinem letzten Buch „Morgen komm ich später rein“ einige spannende Studien zitiert, aber die Sache ist für mich immer noch nicht ganz geklärt.

Nehmen wir den Microblogging-Dienst Twitter. Anfangs war ich, so wie viele, skeptisch: Geplapper? Zeitverschwendung? Noch ein Input-Kanal, den ich verarbeiten muss? Ich habe ja schon einen Facebook-Account. Bekomme Nachrichten über Xing und LinkedIn. Versuche nebenbei, Google Wave einen Nutzen zu entlocken. Nicht zu vergessen SMS und Telefonate. Aber nützliche Kommunikation schafft sich selbst ihren Platz. Inzwischen vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht mindestens einen „Tweet“ absetze. Jeder Morgen beginnt bei mir an der Espressomaschine mit dem Check, was jene Menschen, denen ich in anderen Zeitzonen „folge”, über Nacht getwittert haben.

Klingt schrecklich unkonzentriert und zeitaufwendig? Ja und nein. Einerseits besteht so ein Tweet ja aus maximal 140 Zeichen, ist also schnell formuliert. Und ich habe inzwischen mehr als 600 „Follower”, die offenbar interessiert, was ich da verfasse. Gleichzeitig reduziert der soziale Filter jener streng ausgewählten Menschen, deren Tweets ich lese, von denen ich mir also gern Themen empfehlen lasse, ja auch Komplexität: Wenn eine Nachricht für mich wichtig ist, wird sie mich finden, wie Wired-Chefredakteur Chris Anderson zu Recht sagt.

Andererseits ist diese oft ungezielt mäandernde Onlinekommunikation per Definition das Gegenteil effizienter Produktivitätsoptimierung. Wer Dinge schaffen will, egal ob ein Buch, einen Song oder einen Businessplan, muss – es hilft alles nichts – die permanente Erreichbarkeit und die ständige Ablenkung eindämmen. Und zwar nicht nur diejenige durch Job, Kollegen und Chefs. Sondern auch durch Freunde, „Friends”, Kontakte, andere Twitterer und eigene Follower. Auf Facebook schaue ich inzwischen – ganz ehrlich – nur noch vorbei, wenn ich dort eine Nachricht beantworte. Meinen Twitter-Client schalte ich aus, wenn ich arbeite – dasselbe mit dem E-Mail-Programm zu tun, schaffe ich noch nicht. Man muss ja Ziele haben.

Was diese angeht, empfehle ich, es mit Merlin Mann zu halten, einem heldenhaften Apologeten des Kampfes gegen die Zerstreuung. Er polemisiert seit Jahren in seinem Blog 43folders gegen die allgegenwärtige Versuchung, beschäftigt zu tun, aber nichts zu schaffen: „Einer Facebook-Gruppe über kreative Produktivität beizutreten ist so, als würde man einen Stuhl kaufen, um zu joggen”, sagt Mann.

Der Begriff des Lifehacking stammt aus der amerikanischen Computerszene. Gemeint waren ursprünglich Produktivitätstricks, die Programmierer erfanden und anwandten, um der täglichen Informationsflut Herr zu werden. Angesichts der immer größer werdenden Menge an Daten, die diese Technikexperten organisieren mussten, programmierten sie sich selbst kleine Hilfssoftware, die Dokumente über verschiedene Rechner und Arbeitsplätze synchronisierten, Aufgabenlisten verwalteten, den Nutzer an wichtige Termine erinnerten oder E-Mails filterten. Sollte Ihnen das bekannt vorkommen – viele dieser Funktionen gehören heute zur Grundausstattung jedes mobil und flexibel agierenden Wissensarbeiters. Und viele entdecken erst nach und nach, wie notwendig es ist, die zunehmende Anzahl von Blogs, Nachrichten, RSS-Feeds und E-Mails, die sie täglich durcharbeiten müssen, mit elektronischer Unterstützung in Schach zu halten.

Das Schlagwort wurde immer erfolgreicher und dabei erweiterte sich die Bedeutung vom rein computertechnischen hin zu „eigentlich allem, das ein alltägliches Problem auf clevere, nicht-offensichtliche Art löst“, wie es bei Wikipedia heißt. Den Begriff geprägt hat der britische Technologie-Journalist Danny O‘Brien, nachdem er eine Umfrage unter extrem produktiven Computerspezialisten durchgeführt und dabei herausgefunden hatte, dass diese alle „peinliche“ kleine Tricks und Abkürzungen benutzten, um ihre Arbeit erledigt zu bekommen. Auf einer Konferenz in San Diego präsentierte O’Brien seine Ergebnisse unter dem Titel „Life Hacks“ erstmals der Öffentlichkeit. Unter Bloggern und in der Technologie-Community verbreitete sich die Bezeichnung blitzartig.

Rund um den neuen Begriff entstand eine Begeisterung für diese clevere Art, sein alltägliches Leben sowie seine berufliche Produktivität selbst in die Hand zu nehmen, zu optimieren, dabei möglichst Tricks und Routinen selbst zu erfinden. Die American Dialect Society wählte „lifehack“ nach „podcast“ zum zweitnützlichsten neuen Wort von 2005.

Der moderne Mensch, so sagt Merlin Mann gern, ist wie der Mitarbeiter eines Sandwich-Ladens, der lauter Bestellungen entgegennimmt, diese auf

Zettel schreibt und die Zettel dann in immer neuen Reihenfolgen sortiert, immer wieder überlegt, wie man all diese Aufträge am effektivsten abarbeiten könnte – aber vor lauter Sortieren und Planen nie dazu kommt, die Brote zu belegen. „Don’t just take orders, make sandwiches“, lautet Manns Ratschlag, der natürlich in übertragendem Sinn zu verstehen ist. Die aktuelle Herausforderung für jeden von uns – ob Künstler, Arbeiter,

Anführer oder Laie – ist es seiner Ansicht nach herauszufinden, wo die Grenze verläuft, ab der Kommunikation und Ablenkung uns daran hindern, unsere wirklich wichtigen Projekte zu verfolgen. Und dann diese Grenze auf effektive, pragmatische, deutliche und zivilisierte Weise zu kommunizieren. Wir müssen unsere Zeit mit „Brandschutzmauern umgeben, um Dinge machen zu können“, so Mann: „Hier ist mein einziger Profi tipp für Sie: Sobald Sie es geschafft haben, Ihre Zeit zurückzustehlen, und Ihre Aufmerksamkeit in den Griff bekommen haben, nutzen Sie beides, indem Sie fantastische Dinge machen.“ Genau so ist es.

Gefunden bei BusinessVillage

Über den Autor: Markus Albers lebt als freier Journalist und Sachbuchautor in Berlin. Er schreibt für Monocle, Brand Eins, Die Zeit, GQ und AD. Seine Arbeiten wurden auch in Vanity Fair, Spiegel, Stern, SZ-Magazin und der Welt am Sonntag veröffentlicht. Außerdem entwickelt er neue Print- und Online-Formate für Verlage und Agenturen.

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